Anke DOBERAUER 

Anke Doberauer

Anke Doberauers (*1962) Männerbildnisse sind alle lebensgroß (210 x 125 cm) gemalt. Sie erinnern an die Malerei des 19. Jahrhunderts, beispielsweise an jene von Manet. Die Malerei in Öl ist durch eine starke Farbigkeit geprägt. Sie ist dicht, keineswegs zähflüssig; realistisch aber nicht fotorealistisch. Sie ist, so möchte man sagen, traditionell und dennoch ungewöhnlich, weil sie sich ganz auf den Gegenstand konzentriert, diesen jedoch ruhig und ekstatisch zugleich in das künstliche Lichtspektrum einer Gegenwartserfahrung taucht. Das Licht in seiner intensiven Farbigkeit bezieht sich zwar im Wesentlichen auf den Hintergrund, aber dieser "raumlose" nur durch Schattenprojektionen sich verändernde monochrome Farbbereich, ist konstitutiver Teil der Figur. Es ist schwer auszumachen, ob sich das Licht des Hintergrundes in der Figur verdichtet oder ob die "Ausstrahlung" der Figur dieses Licht bewirkt. Die Figuren beinhalten in der Ambivalenz ihrer Erscheinung eine psychische Dimension, welches durch die Farbigkeit assoziiert werden könnte. Eigentlich existiert der Hintergrund gar nicht, weil er voll durch die Präsenz der Figur in Anspruch genommen wird. Licht und Farbe sind für Anke Doberauer wichtig. Sie malt nur mit Tageslicht. Als Betrachter ist man ganz auf die Figur konzentriert und erfährt die Farbe des Hintergrundes als das der Figur eigene Umfeld, als deren Ausdruck: Als das, was die Figur in ihrer spezifischen Erscheinung kennzeichnet und als personifizierte Eigenschaft der Farbe.

Die Männerbildnisse sind männlich und ambivalent zugleich. Sie visieren durchgehend eine Ebene der Zweideutigkeit an, die, wie mir scheint, aufschlußreich für die Haltung der Künstlerin ist. Der realistische Stil, den Anke Doberauer praktiziert, verweist auf eine bestimmte Tradition der Malerei. Anke Doberauer zitiert diese Tradition der Malerei nicht, sie gibt sich ihr hin, schon allein durch den Umstand bedingt, daß ein solches lebensgroßes Gemälde sie ein halbes Jahr beschäftigt. Dennoch ist dieser realistische, auf das 19. Jahrhundert verweisende Stil, eine Art bewußte Abgrenzung zu heutigen malerischen Praktiken. Daß sich dies wie ein Kunstgriff offenbart, und dennoch keiner ist, weil Anke Doberauer eine Vollblutmalerin ist, rührt daher, daß sie in die malerische Souveränität eine Thematik einflicht, die diese um so deutlicher vor Augen treten läßt, nämlich: Wie sieht eine Künstlerin den Mann im Vergleich zum Künstler, für den das weibliche Modell gang und gäbe war. Anders gesagt: Der Künstler artikuliert sein Begehren in bezug auf die weiblichen Erscheinungsformen, auf den wahrgenommenen, ja vielleicht sogar den geliebten Körper, keineswegs nur als Objekt, aber sein Begehren modellierte die Erotik seiner Anschauung in Malerei und Skulptur.

Die Frage lautet nun: Wie schaut eine Künstlerin das männliche Modell an, wie artikuliert sich ihr Begehren? Ich denke zunächst einmal nicht anders als beim Künstler, wenn denn das Begehren kosmisch und das Verstehen menschlich ist. Die Zeit, die Anke Doberauer aufwendet, um ein Bild zu malen, schafft ein Verstehen für das, was das Begehren ausdrückt. Die erotische Ausstrahlung des männlichen Körpers liegt der Malerei zugrunde. Wenn der Gegenstand der Malerei immer und nur die Malerei sein kann, fokussiert sich die Malerei bei Anke Doberauer in einem Gegenstand, der ihrem Begehren und ihrer Sicht als Haltung einen Ausdruck verleiht.

Aber die Sicht der Künstlerin entspricht nicht jener des Künstlers. Sie ist einfach reversibel. Anke Doberauer spricht eine Ambivalenz an, welche die männliche Psyche als eine fluktuierende, zwischen den Polen männlich - weiblich, ansiedelt. Es ist eine begehrende, partizipierende und ironische Sicht zugleich.

Nehmen wir als erstes Beispiel "Djamel" aus dem Jahr 1993. Der dunkelhäutige, schlanke junge Mann steht mit nacktem Oberkörper in einem intensiv roten Bildgrund. Er trägt weiße Schuhe und weiße Hosen, deren Bund er eben geöffnet hat. Aus dem Bund hängt sein schweres Glied. Sein Blick ist auf dieses schwere Glied gerichtet. Das Gesicht jedoch sieht man nicht, weil es durch einen Tropenhut gänzlich verdeckt wird. Der breite, sanft abfallende Hutrand und dessen markante Mittelachse assoziieren eine Eichel. Djamel ist durch und durch phallisch gesehen. Als ich dieses Bild zum ersten Mal gesehen habe, wußte ich, daß es von Anke Doberauer stammt. Hätte ich es zum ersten Mal in Unkenntnis des Autors gesehen, hätte ich auf einen Künstler, auf dessen schwules Begehren getippt und wäre wohl höchst erstaunt gewesen, daß der Autor eine Künstlerin ist. Mehr noch: Ich hätte mich selbst in der dargestellten Entblößung ertappt gefühlt. So wie Djamel sein Glied betrachtet, sind Männer phallisch fixiert. Djamel ist wie ein "Hengst bestückt" und er ist stolz darauf. Djamel trägt einen Kolonialhut, den er sich wie eine phallische Trophäe aufgesetzt hat. "Djamel" als Gemälde erscheint wie eine Inkarnation des Phallischen. Ironie und Begehren halten sich in diesem Bild die Waage: Die Ironie infiltriert das Begehren und das Begehren infiltriert die Ironie. Es entsteht, verschärft gesagt, ein "Doublebind". Hier: das bewußte Eingehen auf ein Paradox, das die Anziehung und deren Distanzierung gleichermaßen vereint.

Im Falle von "Sayed" (1994), ganz in Schwarz gekleidet vor hellem Hintergrund, artikuliert der Protagonist durch die Geste seiner Hand selbst die Zweideutigkeit: Er führt den Zeigefinger flach über die Wange auf sein Auge, als würde er das Lid seines Auges herunterziehen, um eine Behauptung "augenzwinkernd" zu relativieren. Jene Geste wird hier angesprochen, wie wir ihnen in südlichen Ländern begegnen, in denen die Zeichensprache Bereiche abdeckt, die von der Verbalisierung ausgenommen sind.

"Leo" (1995), stolzer Träger eines Brautkleides vor violettem Hintergrund, hat kurz geschorenes Haar und auffallend volle Lippen. Wie kommt es zu solchen Bildern? Anke Doberauer wählt sich ihre männlichen Modelle aus. Sie bekunden auch ihre Vorlieben, wie sie gemalt werden möchten. Es entsteht eine Dialog, der das Machbare mit dem Wünschbaren verbindet. Die Modelle begeben sich gewissermaßen in ihre Obhut, liefern sich ein stückweit aus. Es entstehen Fotos, auf dessen Grundlage in der Folge die Bilder gemalt werden. Im Gespräch mit Henk Visch sagt Anke Doberauer: "Die Sehnsucht nach menschlicher Schönheit wird heute mehr von Modefotos und Pin-ups befriedigt als von der Kunst. Bei mir ist es schon etwas anderes, denn ich arbeite ja nicht in kommerziellem Auftrag. Das Verhältnis zu den Modellen ist ein anderes. Es sind alles keine Profis, sondern Bekannte und Freunde - oder sie werden Freunde. Manchmal spreche ich Unbekannte an, ob sie mir Modell stehen wollen. Die meisten sagen ja, und sind vielleicht auch geschmeichelt, aber es gab auch schon einmal jemanden, der nein gesagt hat. So was ist dann bitter, fast wie wenn man verliebt ist und einen Korb kriegt. Dabei will ich von diesen Männern ja nichts weiter als ihr Bild, und ich versuche einen bestimmten Ausdruck, den sie haben, eine bestimmte flüchtige Schönheit, eine Atmosphäre, festzuhalten. Zur Befriedigung meines eigenen Bedürfnisses nach Schönheit, zunächst natürlich. Und dann vielleicht für Andere ... Das Bild, das ich dann male, ist das Ergebnis eines langen Prozesses der Zusammenarbeit mit dem Modell. Ich habe Vorgaben, aber ich verändere sie nach seinen Wünschen und seinen Möglichkeiten, und er läßt auch eigene Ideen einfließen. Das Bild kann, wenn alles gutgeht, der Schnittpunkt sein zwischen meinem Blick und seinem Selbstbild." (In: Kunst Bulletin, Dezember 1996)

Ich habe bisher noch keine Zeichnungen von Anke Doberauer gesehen, nur kleinformatige Ölskizzen, Ideenskizzen, die eine Ausgangsposition festhalten. Leos Brautkleid ist üppig, er trägt es selbstbewußt. "Leo ist nicht schwul", sagt Anke Doberauer. Sie sagt es deshalb, weil Mann und Brautkleid diesbezüglich eine spontane Assoziation bewirken. Daß Leo ein Brautkleid trägt ist nicht oder weniger ein Beleg für den Rollentausch. Vielmehr artikuliert sich die Sichtweise des erotischen Begehrens in der ambivalenten und ironischen Verdoppelung Mann/Frau. Sowie der Künstler das weibliche Modell sieht, so sieht die Künstlerin den Mann eben nicht. Ihr Begehren zielt auf eine Erotik, die einen erotischen Zwischenbereich und eine Verfügbarkeit ortet, die einer Intuition für das Weibliche im Mann selbst entspricht. Leos Männlichkeit wird durch das Brautkleid verstärkt, seine Männlichkeit wird ent-tautologisiert. Das Brautkleid wird zur Metapher: Leo als Braut dreht das tradierte Denkmuster um, wie eine Aufhebung des Verbotes zugunsten des Erlaubten. Sie, die Künstlerin ist es, die, Marcel Duchamp paraphrasierend, als Junggesellin nicht etwa die Braut entkleidet, sondern mit einem Brautkleid ausstattet. ("Die Braut von ihrem Junggesellen entkleidet" 1913). Und natürlich ist die Remineszenz an die Infanta Margarita von Diego Velazques in "Las Meninas" (1656) unübersehbar. - Anke Doberauers Sicht auf den "schönen Mann" erschließt in der Umkehrung der Sicht des Künstlers auf die "schöne Frau" eine Perspektive, welche die Codierung mannweiblich als viel begehrenswerter erachtet, als die Codierung mann-männlich. Jedoch ist diese Feststellung richtig zu verstehen: Es geht hier nicht nur um den kunstgeschichtlichen und anthropologischen Blick in seiner Umkehrung. Die Umkehrung dieses Blickes hat insofern Konsequenzen, als daß dieser Blick weitgehende Veränderungen allgemeiner Art impliziert. "Die Anerkennung unserer androgynen Natur", schreibt Elisabet Badinter 1986, "wird durch das Leitbild der Ähnlichkeit erleichtert. Man gibt heute bereitwillig zu, daß sich das Individuum erst entfalten kann, wenn es seine Bisexualität anerkennt. Aber bedeutet <Anerkennung> nicht, daß man sich eine zuvor verkannte Wahrheit eingesteht? Wir verzeichnen daher weniger <die Heraufkunft> einer androgynen Natur als vielmehr deren <Rückkehr> in dem Sinne, wie die Psychoanalytiker von der <Rückkehr des Verdrängten> sprechen." (In: "Ich bin Du - Die androgyne Revolution", München 1987, S. 207)

In "Mounir" (1996) bedeckt sich ein junger Mann mit einem hellen Badetuch. Der dunkelhäutige Körper des Nordafrikaners steht vor einem karminroten Hintergrund mit violetten Schatten. Er schaut auf das Badetuch herab, das er über seinen Körper ausgebreitet hat. Das Motiv ist kunst- und filmgeschichtlich wohlbekannt, denkt man an die vielen Szenen, in denen Frauen dem Bade entsteigen und mit einem Tuch ihre Blöße bedecken. Sich verhüllen und enthüllen gehört in den gleichen Motivbereich. Hier ist es ein Mann, der die tradierte Rolle der Frau übernimmt. Die Frage ist, wie stellt er sich dar. Mounir trägt das Tuch zur Schau, breitet es vor den Augen des Betrachters aus. Er bedeckt nicht seine Blöße, sondern er hält das Badetuch wie ein Schaustück vor unseren Augen. Er spielt die Rolle des Sich-Bedeckenden.

Auch hier haben wir eine Umkehrung. Nicht um des nackten männlichen Körpers willen braucht es ein Badetuch, sondern des Badetuchs wegen, das die Künstlerin, ausgebreitet vor dem Körper, malen will. Die Malerei des Badetuchs bestätigt dies: eine Malerei in der Malerei, ein Bild im Bild. - Während traditionsgemäß Verhüllung und Bedeckung das Verhüllte und Bedeckte erotisch auflädt, wird hier das Ritual der Zeremonie in dessen stofflicher Eigenschaft zelebriert. Das Begehren deckt sich mit dem Charme des Begehrens als dessen eigengesetzliche, malerische Erkundung.

Im Gemälde "Felix" (1994) steht der junge Mann nackt vor einem orangefarbenen Hintergrund mit rötlichem Schatten. Er trägt einen Sombrero, der sein Gesicht verdeckt, und liest in einem Buch. Er steht entspannt da, das Spielbein leicht abgewinkelt. "Das Bild eines aufrecht stehenden Menschen ist mit das Natürlichste, was ich mir vorstellen kann - der Archetyp der Archetypen", sagt Anke Doberauer im Gespräch mit Henk Visch. Das orangefarbene Licht assoziiert Wärme, Sonne. Der touristische Sombrero von Kügelchen gesäumt, tritt als Schattenspender in Erscheinung. Im Unterschied zu Djamel hat Felix keine phallische Bildfunktion. Er steht ganz einfach da, in seiner grazilen, fast femininen Körperschönheit. "Felix" ist in der Tat das Gegenstück zu "Djamel", denn der Protagonist zeigt sich nicht. Er gibt sich, ohne dies selbst wahrzunehmen, der Betrachtung frei. Anke Doberauer führt hier den für die Kunstgeschichte relevanten anerkennenden, ja bewundernden Blick ein. Jenen des Paris, der nun allerdings weder drei weibliche noch drei männliche Schönheiten zu beurteilen hat. Vielmehr ist sie es, die Künstlerin, die in die Rolle des Paris geschlüpft ist und nun jenen malt, den sie auserkoren hat. Wir wissen, daß Paris Venus, die Göttin der Liebe, Minerva und Juno vorgezogen hat, die für Kraft, Weisheit und Unabhängigkeit einstehen. Genau diesen Mythos macht sich Anke Doberauer zu eigen, in dem sie ihre weibliche Sicht von männlicher Schönheit als eine Form des erotischen Begehrens dem Betrachter vor Augen führt.

"Michel" ist in diesem Zusammenhang das früheste Bild. Es stammt aus dem Jahr 1992. Michel könnte ein Kunststudent sein. Er trägt eine Brille, einen Rollkragenpullover, sein Haar ist dicht und wellig, er hält die Hände in den Hosentaschen und sieht so aus, als hätte ihn Anke Doberauer auf dem Weg ins Atelier gebeten, kurz für ein Foto innezuhalten.

Im Unterschied zu den anderen Werken, weist dieses Bild, Grün in Grün gemalt, einen dreidimensionalen Raum auf. Nur die schmale Bodenpartie und die Schuhe sind in ein rotes Licht getaucht. Die durchgehende Rückwand zeigt ein vertikales Streifenmuster.

Michel könnte auch Michelle sein, so wie sich bei Balzac Sarrazin in Sarrazine verwandelt. Die männliche Erscheinung wird nicht weiblich konnotiert. Eher wird eine weibliche Erscheinung auf ihre männlichen Eigenschaften hin dargestellt. Die Person Michel hat etwas sehr Bestimmtes: Etwas spezifisch Weibliches, das sich als das Männliche in der Frau offenbart. Die Reaktion der Betrachter bei Führungen ist erstaunlich. Sie tendieren mehrheitlich dazu, eine weibliche Figur anzunehmen.

Die weibliche Sicht von Anke Doberauer ist unerbittlich. Ihre Sicht auf den Mann entspricht dem, was sie im Gespräch mit Henk Visch wie folgt formuliert: "Mir gefallen Männer, die es wagen, ihre Empfindsamkeit zu zeigen." Da sie als Malerin diese Empfindsamkeit festhält, bekommt diese Sicht einen beispielhaften Charakter. Die Person Michel zeigt sich weder phallisch (("Djamel"), noch in seiner Körperschönheit ("Felix"), noch in der zeichenhaften Verfügbarkeit ("Sayed"). Er zeigt sich in der alltäglichen Beiläufigkeit einer wie zufälligen Begegnung, womit ein weiteres Kapitel in der Begegnung mit der erotischen Ambivalenz aus dem Standpunkt einer Reversibilität des Begehrens ihren Ausdruck findet.

"Ich glaube an das Bild", sagt Anke Doberauer im Gespräch mit Henk Visch, "wie die Heiden - und die Katholiken, für die der Wein das Blut Christi ist, und nicht etwa dieses nur bedeutet. Insofern bedeuten meine Bilder gar nichts. Sie sind keine Metaphern. Sie sind einfach da als Realität."

Jean-Christophe Ammann, 1996

 
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